Blog


Der KMUdigital-Blog informiert Sie über aktuelle Ergebnisse aus den sechs Einzelprojekten, aber auch über Veranstaltungen und andere Aktivitäten an denen das IBH-Lab KMUdigital beteiligt ist. Darüber hinaus informieren wir Sie hier über spezifischen Neuigkeiten aus den Bereichen Industrie 4.0 und digitale Transformation.

Der Begriff Industrie 4.0 ist mittlerweile breit bekannt. Dennoch besteht grosser Informations- und Handlungs­bedarf für konkrete Umsetzungen. Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung sind gleichermassen gefordert.

 2019-01-09_Blog_Herausforderungen mit Industrie 4.0_Bild_Jürg Meierhofer

Jürg Meierhofer, Dr. sc. techn. ETH — The­men rund um Digitalisierung und Industrie 4.0 gewinnen zunehmend an Bekanntheit. So werden beispielsweise in grosser Fülle Informationsveranstaltungen angeboten, in Challenges und Hackathons Ideen entwickelt oder an Konferenzen Analysen und Fallstudien präsentiert. Auch ausserhalb von Fachkreisen ist die «Digitalisierung» sehr präsent. Dabei ist inzwischen eine gewisse Sätti­gung an allgemeinen Informationen und Visionen spürbar.

In der konkreten Umsetzung hingegen besteht nach wie vor gros­ser Informations- und Handlungsbedarf. So zeigen zum Beispiel Demofabriken zwar sehr schön auf, was heute mit neuer Technologie möglich ist. In der Praxis jedoch haben die Betriebe in den meisten Fällen organisch gewachsene Strukturen, die sich nicht an den Modellen einer Demofabrik orientieren kön­nen. Hier sind andere, neuartige Herangehensweisen gefragt.

Fokus auf dem Kundennutzen dank Service-Orientierung

Die technologischen Entwicklungen sind wichtige Innovationstreiber. Sie bergen Potenzial für die Optimierung von Abläufen und die Entwicklung neuer Angebote. Die Herausforderung besteht darin, ausgehend von diesem Potenzial mit konkreten Umsetzungsschritten zu starten, die innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen eines Unternehmens machbar sind und betriebswirtschaftlichen Nutzen erzeugen. Eine nützliche Orientierungshilfe bietet dabei die Ausrichtung am Nutzen sowohl für die Kunden als auch für die Anwender. Die Umsetzungsschritte müssen konsequent darauf ausgerichtet sein und Wert für deren Geschäftsprozesse generieren. Mit der Theorie der Dienstleistungsentwicklung stehen uns effektive, bewährte Instrumente für das Design und Engineering von Anwendernutzen zur Verfügung.

Das zentrale Konzept dabei ist es, Nutzwert durch den Kunden zusammen mit dem Anbieter zu schaffen — Stichwort «Co-­Creation». Dabei ist eine iterative Vorgehensweise gemeinsam mit den Kunden angebracht: Mit schnellen Prototypen («rapid service prototyping») lässt sich rasch und kostengünstig feststellen, ob man die Aufgaben und Herausforderungen der Kunden richtig verstanden hat. Zu scheitern und daraus zu lernen ist dabei fixer Bestandteil des Entwicklungsweges.

Für die Anbieterseite entstehen interessante neue Möglichkeiten. Die kontinuierliche Service-Co-Creation mit den Kunden festigt die Loyalität wie auch die gegenseitige Bindung und trägt dazu bei, die Wertschöpfung für alle Beteiligten zu optimieren. Die Service-orientierte Vorgehensweise bricht lineare Wertschöpfungsketten auf. Es entstehen sogenannte Service-­Eco­systeme, in denen die Akteure über Cloud-­Verbindungen Servicewerte austauschen. Die Co-Creation zur Entwicklung von Services erfolgt dann gemeinsam durch mehrere Akteure eines solchen Ecosystems.

Neue Anforderungen an Bildung und Gesellschaft

In Anbetracht der innovativen technologischen Entwicklungen sowie der neuen Vorgehensweisen zur Wertschöpfung zusammen mit den Kunden stellt sich die Frage, inwiefern die heutigen Ausbildungen auf diese neuen Anforderungen eingehen. Im Bereich der technischen und betriebswirtschaftlichen Kompetenzen ist eine solide Grundausbildung nach wie vor von höchster Bedeutung. Die neuen Technologien erfordern spezifische Kompetenzen in Gebieten wie der Elektronik, der Informatik, der Mathematik und verwandten «MINT Fächern». Zusätzlich kommt jedoch neu eine weitere Art von Kompetenzen zum Tragen: Es geht bei digitalen Services stets darum, den Anwendern in ihren Aufgaben und Abläufen Nutzen zu stiften. Dieser Nutzen ist abhängig von den individuellen Personen sowie deren Kontext und somit sehr vielfältig — am Anfang eines Projektes oft gar nicht eindeutig beschreibbar. Ebenso sind die Fragestellungen der technischen und betriebswirtschaftlichen Machbarkeit stark kontextabhängig.

Aufgrund der Vielfalt an individuellen Personen und Kontextsituationen ist somit die Problemstellung bei der Entwicklung von Services a priori unklar. Daraus abgeleitet sind auch die Lösungsansätze und der Lösungsweg nicht eindeutig. Diese müssen abhängig vom Kontext in interdisziplinären Teams und in zahlreichen Iterationen angenähert werden.

Die eingangs beschriebenen technischen Kompetenzen müssen mit einer ­Weiteren ergänzt werden: unklare Problemstellungen zu schärfen und über einen längeren Prozess beschreibbar zu machen. Im Kontext von Services bedeutet das auch, die Herausforderungen der Anwender genau zu verstehen und zu modellieren, was zusätzlich eine systematische Kom­bination von Soft und Hard Skills sowie die Fähigkeit zum Arbeiten in transdiszi­plinären Teams erfordert.

Zudem setzt die iterative Vorgehensweise eine Fehlerkultur voraus und die Fähigkeit, aus Scheitern zu lernen und dieses als notwendigen Schritt auf dem Weg zum Erfolg zu betrachten. Diese ergänzenden Kompetenzen basieren zum Teil auf Erfahrungen, können aber auch ganz gezielt in der Bildung vermittelt werden. Gerade in Weiterbildungen, in denen sich unter den Teilnehmenden reichhaltige Erfahrungen und Kompetenzprofile aus unterschiedlichsten Richtungen vereinen, lassen sich beispielsweise durch die Teamarbeit an Fallstudien neue Kompetenzen erwerben und vertiefen.

So wird an der ZHAW School of Engineering in Kursen wie «CAS Data Product Design» oder «CAS Industrie 4.0 — von der Idee zur Umsetzung» oder auch in Bachelor- und Mastermodulen in dieser Art gearbeitet. Nicht nur in der Bildung, sondern auch im gesellschaftlichen und politischen Rahmen zeigen sich erweiterte Herausforderungen. Beispielsweise stellen sich neue Fragen der Nutzungs-, Eigentums oder Urheberrechte. Aus gesellschaftlicher Perspektive ergeben sich neue Themen, wie zum Beispiel im Bereich der sozialen Sicherheit vor dem Hintergrund von Automatisierung und künstlicher Intelligenz. Diese werden u. a. in der «Digitalen Agenda Bodensee, GRÜNBUCH 2018», untersucht und diskutiert, die im Rahmen des Labs KMUdigital der Internationalen Bodensee-Hochschule (IBH) erarbeitet wurde — die ZHAW School of Engineering ist Partnerin des Labs KMUdigital.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Digitalisierung und Indus­trie 4.0 als relevante Themen in der Wirtschaft und der Gesellschaft anerkannt und etabliert sind. Auch die Grund- und Weiterbildung sind auf die neuen Herausforderungen vorbereitet. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir erst am Anfang einer langen Reise stehen, auf der wir die Anforderungen und unsere Antworten da­rauf laufend neu beurteilen müssen. Ständige Wachsamkeit sowie der Mut und die Bereitschaft zum Explorieren in neuen Themen sind geboten.

zhaw.ch

2019-01-09_Blog_Herausforderungen mit Industrie 4.0_Bild_Kundennutzen durch iteratives Vorgehen

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